Donnerstag, März 28, 2024

Wiederentdeckt und wiederbelebt: eine alte Weggefährtin

24.1.2015 – Man könnte es als analoge Sentimentalität bezeichnen. Oder als Begeisterung für eine Technik, die im digitalen Zeitalter an Bedeutung zu verlieren scheint. Eine Technik, mit der – bis zum heutigen Tage – Musikgeschichte geschrieben wird. Oder vielleicht auch als Entschleunigungsprogramm.

Ich bearbeite Sprach- und Musikmaterial schon seit den 1990er-Jahren mit digitalen Geräten. Angefangen hat alles mit DAT-Recordern (DAT = Digital Audio Tape) und dem Macintosh II von Apple. Trotzdem forderten Rundfunkanstalten und Partner-Studios bis in die 2000er-Jahre das gute alte Viertelzoll-Tonband als Austauschmittel. Meist „offen“ gewickelt auf einem sogenannten „Bobby“, und das Ganze bitte in Studio-Bandgeschwindigkeit von 38 cm pro Sekunde. Mit Schneideschiene und Klebeband verschwanden die „Ähs“ und andere unerwünschte sprachliche Absonderungen. Musikstücke mit einer Länge von fünf Minuten verließen unser Studio komprimiert als radiotaugliche Dreiminüter. Alles mechanisch geschnitten und präsentiert in einem weltweit anerkannten Standard. Einem Standard, der heute aufersteht, wenn der Musikmischung „die Seele fehlt“, oder wenn es für das menschliche Ohr nachweislich weicher, harmonischer – kurz: analoger – klingen soll.

Die Rede ist von Spulentonbandgeräten, im Englischen „Reel-to-reel tape recorder“. Die Begeisterung für große Spulen begann im Konfirmationsalter, mein Vater benutzte damals ein Heimgerät von Phillips. „Ich mache heute einen Radiomitschnitt“, sagte er so schön. Ich lieh mir das kompakte Phillips-Gerät öfter für „eigene Sendungen“ aus und produzierte damit fiktive Radioshows. Der Sound war deutlich besser als der von Cassettendecks, das Band war strapazierfähiger, und man konnte den richtigen Aufnahmeeinstiegspunkt herrlich genau durch manuelles Drehen der Spulen festlegen.

Erst 1986 hatte ich die finanziellen Mittel, um in die Top-Liga der Consumer-Klasse einzusteigen, und setzte den heimischen Audio-Produktionsmitteln mit dem Erwerb einer Revox B77 die Krone auf. Die B77 ist aus heutiger Sicht eine absolute Legende unter den Spulentonbandgeräten. Die letzten ihrer Art verließen das Schweizer Revox-Werk im Jahr 1998. Es gab über 60 Varianten für unterschiedliche Aufgabenbereiche. Dieses Gerät schrieb sowohl wirtschaftlich als auch technisch Erfolgsgeschichte.

Tonbandlegende Revox B77

Eine original Revox B77 Mk II in ihren Bestzeiten (Foto: audioscope.net)

In meiner Zeit beim Music Shop München ließ ich die B77 durch einen befreundeten Werkstattmeister „tunen“. Er verwandelte die „normale“ Consumer-B77 für den Studioeinsatz in eine „Profi-B77“. Statt mit nur 19 cm/s konnte ich jetzt mit 38 cm/s mastern und auf andere, verbesserte Features zugreifen.

Anfang der 2000er wanderte das Gerät in den Keller, die Digitaltechnik eroberte die komplette Szene. Und ich gebe ja zu: Es ist auf einem Notebook viel einfacher, Audiomaterial professionell zu editieren. Zumal Digitaltechnik nicht destruktiv ist, keine mechanische Abnutzung kennt und die Mobilität unterstützt. Erst kürzlich habe ich wieder mit meinem MacBook unter dem Arm sowie Audioschnittstelle und Neumann-Mikro im Handgepäck studiotaugliche Voice Overs durchgeführt. Der Auftraggeber war glücklich, denn alles passierte bei ihm vor Ort.

War es Zufall, dass ich am darauf folgenden Nachmittag meine alte B77 aus dem Keller geholt habe? Sie hat mehrere Umzüge überlebt, dabei einen Schalter auf der Frontseite eingebüßt und seit vielen Jahren keine Steckdose aus der Nähe gesehen. Nach einem Test war klar: entweder als „stark reparaturbedürftig“ an einen Bastler verschenken oder aber für eine Generalüberholung zum Revox-Fachmann bringen. Ich entschied mich für Nr. 2. Natürlich habe ich mir angesichts der zu erwartenden Kosten die Frage gestellt, welchen Sinn eine Wiederinbetriebnahme haben soll.

Abgesehen von den zahlreichen Bändern, die ich noch besitze, und die auf diese Weise den Sprung ins digitale Zeitalter schaffen könnten, ist es vielleicht doch ein wenig Sentimentalität. Oder bald eine Marktlücke.

Eindrücke und aktuelle Fotos von der wiederbelebten B77 präsentiere ich in einem eigenen Artikel. Jetzt heißt es erst mal gut vier Wochen auf das Ergebnis warten.

Auf jeden Fall ist es ein tolles Entschleunigungsprogramm.
Willkommen im Jahr 2015, alte Weggefährtin!

Wer tiefer in die Materie einsteigen will, kann diesen Links folgen: